Die beste Musik des Jahres. Klappe, die Zweite: die 20 besten Alben 2022.
Es folgen meine alljährlichen, persönlichen Notizen zu einem ordentlichen Musikjahr, dem die Meisterwerke definitiv gefehlt haben. Die «erweiterte Spitze» ist jedoch äusserst passabel besetzt. Die 20 besten Alben 2022 müssen sich also vor nichts und niemandem verstecken.
Apropos: Lesen. Eine furchtbar mühsame Sache, I know. Genau darum könntet ihr mir theoretisch auch dabei zuhören, wie ich über die Alben dieser Liste schwärme. Genau das haben wir nämlich im «Sounds!»-Jahresrückblick zu den besten Alben 2022 gemacht.
#20
Beyoncé: RENAISSANCE
[Parkwood]
Das Musikalbum ist tot. Schon seit mindestens 2007.
Und zwar ist das Albumformat so dead, dass selbst der vielleicht grösste Popstar der Gegenwart ihre neuen Songs nicht nur weiterhin als Album veröffentlicht, sondern die einzelnen Tracks sogar ineinander hinein fliessen lässt. RIP Album, gone but not forgotten.
Wobei… die Tatsache, dass dieses Album von allen Seiten als «Beyoncés Tribut an die Anfänge der Clubmusik» umschrieben wird, beweist für mich irgendwie, dass sich heutzutage vielleicht tatsächlich niemand mehr Alben richtig anhört. Oder es wird einfach bequem vom Pressetext abgeschrieben.
Weil, klar, die Hommage(n) sind schon da, die – gar nicht mal so gute – Lead-Single «Break My Soul» z. B., oder jene Songs, die ganz zum Schluss der Platte kommen. Aber wenn man dieses Album in einem Club von A bis Z auflegen würde – und das könnte sogar ich, weil die Übergänge ja bereits eingebaut sind und ich diesbezüglich nichts vermasseln kann – dann würde sich der Dancefloor also hurtig leeren. Genau so wie bei meinen richtigen DJ-Sets also.
Weil: Gerade in der Mitte dieses Albums unterstreicht Beyoncé ihre Vielseitigkeit abseits des Dancefloors mit Popsongs, die weder Hommagen sind, noch etwas mit Trends zeitgenössischer Popmusik zu tun haben. Mein vielleicht liebstes «klassisches» Popalbum des Jahres.
Highlights: «Plastic off the Sofa» • «Church Girl» • «Pure/Honey» • «Virgo’s Groove»
#19
Oliver Sim: Hideous Bastard
[Young]
Ich mag mich noch sehr gut an das letzte Konzert von The xx erinnern, an welchem ich live dabei war (und falls Eva das liest: Ja, du warst in der St. Jakobshalle damals auch mit dabei, auch wenn du mir nicht glauben willst!).
Nach dem Konzert habe ich mich mit Fabian S. von der hervorragenden Radiosendung «Mainstream» auf Radio X über diesen Gig unterhalten und wir sind beide zum Schluss gekommen, dass Jamie xx, Produzent und DJ dieser Band, seine beiden Sänger:innen mehr oder weniger obsolet gemacht hat.
Der stimmungsmässige Höhepunkt dieser Show folgte nämlich dann, als Jamie xx gegen Ende – alleine – mehrere Songs seiner Band (wie Beyoncé!) zu einem Mini-DJ-Set verflochten hat, und sogar noch einen der fantastischen Songs seines Soloalbums «In Colour» zum Besten gegeben hat.
Nun, fünf Jahre und einige durchschnittliche Jamie xx-Solosingles später… ist es an der Zeit, alles zurückzunehmen? Vielleicht braucht er seine Bandgspänli ja doch? Zumindest ist seine Kollaboration mit Oliver Sim, eine der beiden Stimmen von The xx, Beweis genug, wieso es The xx im Team offensichtlich doch besser können. (Jamie xx hat das komplette erste Soloalbum von Sim produziert.)
Und zwar nicht nur, weil die Tracks haufenweise tolle musikalische Momente drin haben (dieses klimpernde Klavier in «Run the Credits», herrlich!), sondern auch, weil Sims Lyrics, in denen er z. B. seine HIV-Ansteckung im Alter von siebzehn Jahren offen thematisiert («Hideous»), eine zusätzliche Bereicherung für die Musik sind (was bei den Texten von The xx nicht immer der Fall war).
Highlights: «GMT» • «Run the Credits» • «Hideous» (feat. Jimmy Somerville) • «Fruit»
#18
Superchunk: Wild Loneliness
[Merge]
Ich führe seit mittlerweile Jahrzehnten (das darf man sagen, wenn man Dinge länger als 10 Jahre tut, oder?) eine – natürlich – streng geheime Excel-Tabelle, in der ich mir jeweils Ersteindrücke zu neuen Alben notiere. Einfach nur, damit ich bei hunderten von neuen Alben, die mir durchs Jahr begegnen, nicht die Übersicht verliere, und am Ende des Jahres in einer Liste wie dieser hier auch nichts vergesse.
Meistens gebe ich bei allen Alben, die ich dort eintrage, auch noch eine sehr spontane Sternli-Bewertung ab – und auch wenn ich mir natürlich total bewusst bin, dass man Musik nIcHt mIt zAhLeN beWerTeN soLl (zzz), hilft mir das im Endeffekt doch, weil ich die Liste so jederzeit nach «Bewertung» sortieren kann (ich kann mega gut Excel kann, imfall!) und damit jederzeit einen Überblick über das aktuelle Musikjahr erhalte.
JEDENFALLS: Ende Februar habe ich die neue Superchunk-Platte zum ersten Mal gehört, eine Band die ich schon immer mochte und die seit Jahrzehnten mehr oder weniger immer etwas das gleiche macht – 08/15-Indie-Rock halt, aber mit einer Stimme, an die man sich durchaus zuerst gewöhnen muss – und ihr eine erstaunlich hohe Sternchen-Bewertung gegeben. Erstaunlich darum, weil ich mich wirklich jedes Mal, wenn ich die Liste sortiert habe, darüber gewundert habe, wieso die neue Superchunk-Platte eigentlich so weit oben steht.
JEDENFALLS, #2: Am Ende des Jahres höre ich mich nochmals durch alle Alben aus der oberen Region meiner Liste durch und dort werden dann alle aussortiert, die den relativ kurzen «Test of Time» nicht mehr bestehen.
Und dann habe ich vor ein paar Tagen also diese Superchunk-Platte wieder einmal angeworfen und auch wenn ich inhaltlich kaum etwas Interessantes dazu erzählen kann (It’s catchy Indie Rock…duh?), ist es meistens ein gutes Zeichen, wenn ich mir bei fast jedem Song die mentale «Hm, das ist ja auch ein Highlight des Albums!»-Notiz mache. Darum: You’ve earned it, Superchunk.
Highlights: «City of the Dead» • «Wild Loneliness» • «Endless Summer» • «This Night»
#17
Alvvays: Blue Rev
[Polyvinyl]
Nochmals eine Indie-Pop-Platte, zu der ich nicht wirklich spannende Gedanken habe (also, nicht dass ich das sonst hätte, aber ja…), ausser natürlich, dass ich mich oft darüber nerve, wenn gute Bands wie Alvvays sich veröffentlichungstechnisch so verdammt rar machen. Die letzte Platte dieser kanadischen Band ist vor fünf Jahren erschienen.
Es gibt da ja genügend Beispiele in der Jangle- & Indie-Pop-Welt, die mit ihrer Veröffentlichungsflut glänzen(?) und gefühlt nonstop alles raushauen, was ihnen gerade in den Sinn kommt.
ABER sobald man sich dann durch eine Platte wie «Blue Rev» durchhört, stellt man fest, dass es sich halt anscheinend doch lohnt, wenn man ein bisschen länger an seinen Songs schleift??? Da noch eine zusätzliche Gitarrenlinie einbaut… dort nochmals auf einen noch catchy-eren Refrain setzt…
Highlights: «After the Earthquake» • «Belinda Says» • «Pharmacist» • «Easy On Your Own?»
#16
Black Country, New Road: Ants From Up There
[Ninja Tune]
Die englische Musikpresse (oder zumindest das, was davon übrig geblieben ist), ist erstaunlicherweise noch immer, so wie damals als 2006 jede Woche die anscheinend nächsten Maximo Ferdinand Chiefs entdeckt wurden, ständig auf der Suche nach dem «nächsten grossen Ding».
Darum dürfte den Musikinteressierten dieser Welt bereits aufgefallen sein, wie Jazz (or are they???)-inspirierte Indie-«Kollektive» (das Wort «Band» scheint out zu sein) wie Black Midi, Squid, oder eben auch Black Country, New Road (die glaubs alle im gleichen Studio aufnehmen und wahrscheinlich auch alle miteinander schlafen?), seit einigen Jahren stark gepusht werden.
Und natürlich höre ich mir alle neuen Alben dieser Ban Kollektive auch immer brav an, habe einzelne Bands sogar bereits interviewt, und bin durchaus impressed, wie sich diese Bands durch ihre Experimentierlust auszeichnen und wie es die neun Mitglieder:innen regelmässig schaffen, auf zehn verschiedenen Instrumenten siebzehn verschiedene Melodien in einen einzigen Song zu packen. Nur… also… kann man das denn auch tatsächlich hören, oder nur bewundernd anerkennen?
Leider ist mein Musikgeschmack nämlich so basic, dass ich es gar nicht mal sooo spannend finde, wenn ich zum vierten Mal im gleichen Song einem quietschenden Saxophon dabei zuhören muss, wie da gerade ein Popsong dekonstruiert wird.
Umso schöner also, dass sich Black Country, New Road hier Mühe gegeben haben, tatsächlich… Songs zu schreiben… mit wiederkehrenden Melodien und Spannungsbögen, die auch tatsächlich die Form eines Bogen haben und nicht einfach nur Zick-Zack-Pfeile sind, die sich sieben Mal um die eigene Achse drehen. Und dann gibt es sogar noch richtige Texte dazu!
Kann dieser Form von Post-Rock nur gut tun, wenn hier gezeigt wird, dass sie auch mehr sein kann (und will) als einfach nur ein slightly masturbativer Anti-Pop-Entwurf.
Highlights: «Concorde» • «Good Will Hunting» • «Chaos Space Marine»
#15
Spiritualized: Everything Was Beautiful
[Fat Possum]
Ich habe wirklich nur Verachtung gegenüber Künstler:innen, die nach einem (verständlicherweise!) anstrengenden Albumzyklus gross ankündigen, dass sie jetzt ihr allerletztes Album veröffentlicht haben und dann – What a Surprise! – sich einige Zeit später doch wieder umentscheiden. Da muss man dann also wirklich schon sehr gute Musik machen, damit mir ein solcher überdramatischer Faux-pas nicht dauerhaft die Lust an einem Act mit.
Jason Pierce hat nämlich auch dieses Spiel gespielt. Er hat beim letzten Album «And Nothing Hurt» von seinem «final Album» gesprochen, und jetzt erscheint – what a surprise – ein paar Jahre später nicht nur ein neues Werk, sondern eines, welches ein offensichtliches Begleitstück zur letzten Platte ist («Everything was beautiful and nothing hurt» ist ein Satz aus einem Vonnegut-Buch).
Nun, Gottseidank macht Pierce ja tatsächlich sehr gute Musik und bewegt sich auch auf dieser Platte wieder in schwindelerregenden Höhen (man nennt seine Musik ja nicht umsonst «Space Rock»), hat neben seinem gewohnt emotionalen, «das ist der allerletzte Song, den du je hören musst»-Vibe, aber auch das motorische, treibende Element seiner frühen Werke wiederentdeckt («The Mainline Song»!!).
Highlights: «Let It Bleed (For Iggy)» • «Always Together With You» • «The Mainline Song / The Lockdown Song»
#14
Wild Pink: ILYSM
[Royal Mountain]
Wenn man innert kürzester Zeit drei hervorragende Alben veröffentlicht – zwei davon haben es auch in vergangene Jahreslisten von mir geschafft – dann darf man beim vierten Rundgang durchaus ein paar Experimente eingehen.
So hat John Ross entschieden, die Song-Enden (Bindestrich weil «Songenden» ein überraschend unlesbares Wort ist) mehrerer Tracks auf seinem neusten Album, welches nach einer Krebsdiagnose entstanden ist, quasi abrupt abzuhacken. Klingt so, als ob jemand versehentlich über ein Studiokabel gestolpert ist. Wie bei einem der Highlights dieses Albums, «Hell Is Cold», einem Track mit einem tollen Aufbau, einem klimpernden Piano in der zweiten Hälfte… und dann hört der So-
Nun, immer wenn man Experimente macht, muss man auch die Grösse haben, zuzugeben, wenn sich solche Dinge nicht auszahlen. Was hier definitiv der Fall ist. Funktioniert nicht. Nervt sogar richtig. Aber: das soll einem ja auf keinen Fall die ganze Platte versauen – und es passiert ja auch nicht bei jedem Song.
Highlights: «ILYSM» • «See You Better Now» • «Hell Is Cold» • «Hold My Hand» (feat. Julien Baker) • «Simple Glyphs»
#13
Axel Boman: LUZ / Quest for Fire
[Studio Barnhus]
Definitiv mein liebstes elektronisches Album des Jahres, was aber eigentlich absolut nichts heissen soll. Ist ein bisschen so, wie wenn man einen Metallica-Fan, der vor dreissig Jahren aufgehört hat sich für neue Musik zu interessieren, am Ende eines Jahres, in welchem ein neues Metallica-Album erschienen ist, fragen würde, welches sein liebstes Metal-Album des Jahres war.
Damit möchte ich nicht sagen, dass ich aufgehört habe, mich für elektronische Musik zu interessieren, überhaupt nicht, aber viele der gängigen Trends holen mich nicht wirklich ab: weder Gaspedal-Rave-Tracks, die auf TikTok trenden, noch jene Produktionen, die ein bisschen gar fest an die glorreichen 90er-Jahre erinnern.
Da bleibe ich lieber bei meinem organisch klingenden, verspielten und haptischen House aus der Ecke «Studio Barnhus», der in praktisch jeder meiner Listen der letzten Jahre irgendwo ein Plätzchen fand – in vollem Bewusstsein, dass alle, die tatsächlich Wochenende für Wochenende in den Clubs und out in those streets sind, jetzt natürlich nur den Kopf schütteln werden. Weil man 2022 mit diesem Sound in den Clubs wahrscheinlich ausgebuht wird.
Highlights: «Grape» • «Stone Age Jazz» • «Hold On» • «Sottopassagio»
#12
Kokoroko: Could We Be More
[Brownswood]
Apropos organisch! Dieses achtköpfige Kollektiv aus der Londoner Ecke von Gilles Petersons «Brownswood»-Label, gewinnt den Titel für den «lebendigsten» Release des Jahres.
Ein Gesamtkunstwerk von handwerklich unglaublich sattelfesten Musiker:innen, irgendwo zwischen Jazz, Soul und Afrobeat: präzise wie ein Uhrwerk aus Cyril Schäublins «Unrueh», und gleichzeitig so ungezwungen wie eine Freihandzeichnung von jemandem, der diese im oberen Stock eines FV-Dosto-Zugs angefertigt hat.
Highlights: «Dide O» • «Age of Ascent» • «We Give Thanks» • «Ewà Inú»
#11
Panda Bear & Sonic Boom: Reset
[Domino]
Irgendwie verrückt wie Panda Bear solo und seine Band Animal Collective Ende der 00er-Jahre als «Musik der Zukunft» galten, die uns garantiert bis in alle Ewigkeit erhalten bleiben wird – und jetzt, etwas mehr als zehn Jahre später, klingt dieser Vogelgezwitscher-Waldspaziergang-Unterwasser-Sound so unglaublich veraltet, dass er basically irrelevant geworden ist. Oder hat jemand mitbekommen, dass Animal Collective diesen Frühling tatsächlich ein neues Album veröffentlicht haben? Ihr erstes seit sechs Jahren?
Nun, wenigstens hat Panda Bear ausserhalb des Animal Collectives seinen Tritt wieder gefunden. Wer die Originale aus den 60er-Jahren kennt, bei welchen sich Panda Bear für diese Rückschau bedient, merkt zwar sofort, dass hier nicht überall ganz so viel Kreativität dahinter steckt (vergleiche «Save the Last Dance for Me» mit «Livin› in the After») wie man meinen könnte, und trotzdem ist es irgendwie unmöglich, sich dem hinreissenden Nostalgiegefühl zu entziehen, welche diese Tracks innert Sekunden auslösen.
Wer möchte mit mir das am nächsten gelegene 50s-Style-Diner aufsuchen und dazu ein Bowling-Shirt anziehen?
Highlights: «Livin› in the After» • «Edge of the Edge» • «Go On» • «Gettin› to the Point»
#10
Lucrecia Dalt: ¡Ay!
[RVNG Intl.]
«Bolero», «Salsa» und «Merengue» sind Schlagworte, die im Zusammenhang mit der neusten Platte von Lucrecia Dalt (aus Kolumbien, lebt in Berlin) immer wieder fallen. Da ich von allen drei Dingen aber absolut keine Ahnung habe, möchte ich viel eher von der sonderbar faszinierenden Zeitlupen-Stimmung schwärmen, mit welcher sich diese Platte auszeichnen kann. Als ob jemand mitten im Tag, ohne Vorankündigung auf den Stop-Button klickt und die Welt Sekunden später im Zeitlupentempo rebootet. Aufregend und entschleunigend zugleich.
Highlights: «El Galatzó» • «Atemporal» • «No tiempo» • «Dicen»
#9
Jenny Hval: Classic Objects
[4AD]
Ebbe und Flut: kein anderes Album hatte dieses Jahr einen vergleichbar stringenten roten Faden.
Ich habe in den vergangenen Jahren zu oft darüber geschrieben, wie ich Ende Jahr jedes Mal aufs Neue überrascht werde, wie fest mich die eigentlich sehr unkategorisierbare Musik dieser unkategorisierbaren Musikerin aus Norwegen schlussendlich durch das ganze Jahr begleitet hat, dass ich dieses Mal eigentlich darauf verzichten könnte, diesen Fakt erneut zu erwähnen.
Highlights: «American Coffee» • «Freedom» • «Year of Love» • «Year of Sky»
#8
Warhaus: Ha Ha Heartbreak
[Play It Again Sam]
Wie bewältigt man einen Break-up in der Öffentlichkeit?
Nun, eigentlich gibt es da ja nur zwei Varianten, oder? Entweder man taucht unter und lässt monatelang nichts von sich hören… oder man fängt instantly an, auf Social Media sexy, spannende oder sexy-spannende Bilder von sich zu posten um sämtlichen Ex-Freund:innen zu beweisen, was für ein sexy-spannendes Leben man ohne sie hat.
Maarten Devoldere hat vor kurzem auch einen Break-up durchgemacht. Und anstatt einen Shirtless-Post mit möglicherweise zu knappen Shorts auf Instagram hochzuladen, hat er diese Energie einfach in ein Album gepackt. Es funktioniert.
Highlights: «Open Window» • «I’ll Miss You Baby» • «Desire» • «Time Bomb»
#7
Beach House: Once Twice Melody
[Sub Pop]
Guter Moment um über Selbstsabotage zu sprechen. AKA Künstler:innen, die sich mit total unverständlichen Moves unnötigerweise selbst ins Bein schiessen.
Dazu gehört:
- Zu viele Singles im Vorfeld eines Albums veröffentlichen
- Alben kurzfristig verschieben (ich weiss, dass die weltweite Vinyl-Knappheit ein ernsthaftes Problem für Musiker:innen darstellt, aber zwei Wochen vor Release diesen kurzfristig zwei Wochen nach hinten schieben, kann auch keine Lösung sein.)
- Alben sofort nach Fertigstellung veröffentlichen und den physischen Release (wenn überhaupt) erst Monate später nachliefern
- Alben in mehreren «Teilen» veröffentlichen
Beach House haben sich für ihr achtes Werk für Veröffentlichungsstrategie #4 entschieden: die insgesamt 18 Tracks – in denen wirklich alles drinsteckt, was Beach House ausmacht – wurden über ein halbes Jahr in vier Teilen veröffentlicht.
Vielleicht können sich ja grosse Popstars so etwas leisten (auf Papier klingt das eigentlich gut: über den Zeitraum eines halben Jahres ständig Musik liefern), kleinere Indie-Bands killen dadurch jedoch das Momentum, welches der richtige Zeitpunkt eines kompakten Releases auslösen kann. Unnötig. Oder eben: Selbstsabotage.
Highlights: «Sunset» • «Hurts to Love» • «Another Go Around» • «Pink Funeral» • «Once Twice Melody» • «Superstar»
#6
Caitlin Rose: CAZIMI
[Missing Piece]
Fast ein ganzes Jahrzehnt lang habe ich regelmässig den Facebook-Kanal von Caitlin Rose gecheckt um herauszufinden, wieso sie nach dem Release ihres grossartigen Alt-Country-Albums «The Stand-In» quasi über Nacht wie vom Erdboden verschluckt wurde.
Ich meine, klar, Prioritäten ändern sich, nicht jede Band oder jede Solokünstler:in beendet eine Karriere mit einer mehrjährigen Welttournee. Ab und zu lässt man’s einfach ausplempern und dann sind schwups zehn Jahre vergangen und während man selber schon längst nicht mehr an sein «altes Musiker:innenleben» denkt, gibt es noch immer Fans (It… me?), die nie aufgeben, auf etwas Neues zu hoffen.
Nun, turns out, Caitlin Rose ist einfach eine verhältnismässig langsame Songschreiberin. Darum dauert es bei ihr einfach ein bisschen länger. Und da sie mit «CAZIMI» spielend an ihren letzten grossen Wurf anknüpft, wäre die dekadenlange Funkstille auch sofort vergeben und vergessen. Made in Nashville.
Highlights: «Getting It Right» (feat. Courtney Marie Andrews) • «Nobody’s Sweetheart» • «Black Obsidian» • «Modern Dancing»
#5
Tocotronic: Nie wieder Krieg
[Universal]
Klar, ein Tocotronic-Album auf einer Liste von mir – da wären wieder beim Metallica-Vergleich – das ist komplett Nichtaussagend. Weil: Lieblingsband. Weil: 20 Mal live gesehen, etc.
Aber… das hier… eine ihrer allerbesten Platten? Rezykliert aus verschiedensten Band-Epochen einzelne Elemente und setzt diese neu zusammen: mal klingts nach «K.O.O.K.», mal nach dem weissen Album, mal nach Pure Vernunft und wenn man – wie ich Dirk auch im Interview gesagt habe – als Band auch nach 13 Alben noch immer über eine gewisse Relevanz verfügt und es für Fans wie mich auch enttäuschend wäre, nicht mindestens sechs dieser neuen Songs an einem Konzert zu hören, macht man definitiv etwas richtig.
(Dass sie sich schlussendlich für die sechs falschen neuen Songs entschieden haben… naja… Nobody’s Perfect!)
Highlights: «Ich hasse es hier» • «Ein Monster kam am Morgen» • «Jugend ohne Gott gegen Faschismus» • «Ich tauche auf» (feat. Soap & Skin) • «Crash»
#4
Spoon: Lucifer on the Sofa
[Matador]
Und gleich nochmals eine Band, bei der man beim Überfliegen dieses Artikels (Warum hast du Maniac diese langweilige Liste eigentlich nicht schon längst geschlossen?) einen «Ah, Luca hört tatsächlich noch immer die gleichen fünf Bands wie vor 15 Jahren!»-Eindruck bekommen könnte, aber auch hier muss ich doppelt unterstreichen (weiss jemand wie das bei WordPress geht?): nicht jedes Album dieser Band ist gut! Ihre Letzte zum Beispiel, auch schon wieder fünf Jahre her: gar nicht gut!
«Lucifer on the Sofa» ist die vertonte Verjüngungskur von absoluten Profis, bei denen der Rock’n’Roll auch mit einem 95°-Waschgang nicht mehr herausgeht. Tolles Songwriting. Und die Produktion dieser Platte, die man erst dann richtig zu schätzen weiss, wenn man 24 Monate lang shitty Corona-Home-Recordings mit scherbelnden Drums und matten Abmischungen hören musste, war ebenfalls eine extreme Wohltat.
Highlights: «On the Radio» • «Wild» • «My Babe» • «The Hardest Cut» • «Held»
#3
Kendrick Lamar: Mr. Morale & The Big Steppers
[Aftermath/Interscope]
«Mr. Morale & The Big Steppers»: ein Doppelalbum, dramaturgisch aufgeteilt in zwei punktgenaue Hälften. CD 1 heisst «The Big Steppers», CD 2 heisst «Mr. Morale» und da-… moment… WIESO HEISST DAS ALBUM DANN NICHT «The Big Steppers & Mr. Morale»???? What the Fuck. 0 Sterne. Do not listen. Would not recommend.
Aber seriously: Ist Kendrick nach dem ziemlich präzisen «DAMN.» hier ein wenig übers Ziel hinausgeschossen. Sure. Und trotzdem habe ich mir dieses Doppeldecker-Sandwichs, bei dem jeder Bissen unterschiedlich schmeckt, sehr gerne reingehauen. So viele Details, so viele Experimente, so viel Abenteuerlust. I love it.
Und ich wüsste noch immer gerne, wie genau er es geschafft hat, Beth Gibbons aus ihrem Ruhestand zu reaktivieren. Gibt es da wirklich kein Interview, in welchem man eine Antwort findet?
Highlights: «Mother I Sober» (feat. Beth Gibbons of Portishead) • «United in Grief» • «Father Time» (feat. Sampha) • «Crown»
#2
Big Thief: Dragon New Warm Mountain I Believe In You
[4AD]
Wir dürfen uns an den Rand im Innern einer hölzernen Hütte irgendwo im Wald setzen und vier Fabelwesen dabei zuschauen, wie sie ihre nächsten Fäden spinnen. Fast so, als ob wir gerade Zeug:innen eines streng geheimen, jahrhundertealten Rituals werden. Einladend, aber irgendwie doch verboten. Weltoffen und gleichzeitig intim. Das ist Big Thief.
Highlights: «Change» • «Certainty» • «Simulation Swarm» • «Time Escaping» • «Spud Infinity»
#1
Widowspeak: The Jacket
[Captured Tracks]
Ich verrate euch jetzt ein Geheimnis. Ich bin ein grosser Fan von Listen. No Shit, werdet ihr jetzt denken. Das hätte ich ja nie gedacht!
Listen machen: eine Kunst, die man beherrschen muss. Klar, es geht bei einer Liste schlussendlich um die richtige Auswahl – aber wenn das Ranking ohne Erzählfluss daherkommt, bringt auch die beste Auswahl keine:n Leser:in dazu, bis zum Ende dranzubleiben.
Zu einer guten Liste gehören u. a.:
- Der oberste Pick muss ein überraschender sein
- In der Mitte braucht es regelmässige Stützen, an denen sich ein:e Leser:in festhalten kann
- Die #1 ist ein Statement.
Meine Musiklisten sind persönliche Listen. Sie haben – im Gegensatz zu meinen Serien- oder Filmlisten – in erster Linie den Charakter eines Tagebucheintrags. Darum missachte ich nun auch den elementaren letzten Punkt meiner oberen Auflistung und küre ein random Indie-Album zu meinem «Album des Jahres».
Kein vorwärtsdenkendes Klangexperiment wie letztes Jahr, oder die absolute Krönung einer Karriere wie 2020… sondern einfach nur… ein Indie-Album. Ein Album, bei dem eigentlich jeder Track ein Volltreffer ist. Ein Album, das mit seiner verführerischen Roadmovie-Ästhetik sogar David-Lynch-Vibes mit sich bringt. Ein Album, stellvertretend für ein gutes, aber nicht grossartiges Musikjahr.