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Best of 2020 Bestenlisten Musik

Die 20 besten Alben 2020

Lieblingsmusik 2020, Vol. 2: Meine Lieblingsplatten des Jahres.

2020 hat uns brutal im Stich gelassen. Und jetzt könnte man natürlich sagen: «Jahr war scheisse, Musik war gut», was natürlich stimmt, aber das stimmt ja jedes Jahr. Denn wer in einem vollen Jahr, also während 365 Tagen – Pandemie hin und her – nicht genügend gute Musik findet, hat einfach nicht genügend lange gesucht. Gilt übrigens auch für Filme, Serien oder Bücher.

Und trotzdem hinterlässt das Coronavirus seine Spuren, auch bei so etwas oberflächlichem wie einer «Bestenliste der besten Musik eines ausgewählten Jahres».

Alben und Songs nach einem Konzert rekontextualisieren? Nope.

Ein Album während zwei komplett verschiedenen Jahreszeiten hören und so Details entdecken, die einem sonst gar nicht aufgefallen wären? Nope. Denn egal ob März oder September, die einzige Jahreszeit 2020 hiess «Kann ich wohl in 2 Wochen noch…», respektive «Wann können wir wohl wieder…».

Und sowieso: Wie will man sich überhaupt auf Musik konzentrieren, wenn man in seinen Timelines tagein, tagaus und nonstop mit Schrott wie «Ja, aber Schweden…» und «Man darf ja wohl noch Dinge hinterfragen dürfen…» konfrontiert wird?

Aber genug fucking gejammert. Denn: Jahr war scheisse, Musik war gut. Und hier kommt die beste:

20. Peter Bjorn and John: Endless Dream [Ingrid]

Ayyy. Meine Jahresliste fängt so an, wie man es sich nicht wünschen würde. «Jetzt hat’s ihn also endlich genommen. Jetzt hört er nur noch neue Musik von Bands, die er ‹damals› geil fand», oder wie?

Bald bin ich der Typ, der 18-Jährigen an Indie-Partys erklären möchte, warum Britp, äh, «Ruby» von den Kaiser Chiefs der beste Song aller Zeiten ist (Erzähler: «Ist er nicht») und früher sowieso alles besser war, ja?

Halt, halt, halt, ist nicht der Fall. I swear! Dieser Pick hat nichts mit der «Nostalgiebrille» zu tun, sondern ist eine erfreuliche Feststellung, dass es eine Band, die man seltsamerweise nur für einen einzigen Song kennt (und nicht etwa für die ganze Platte), endlich geschafft hat, sich von ihrem Überhit zu lösen.

Toller Indie Rock, tolle Melodien und Peter Moréns Stimme, irgendwo an der Schnittstelle zwischen «emotional» und «Aua, das war das Tischbein», klingt halt nach wie vor einzigartig.

Highlights: «Simple Song of Sin» • «Reason to be Reasonable» • «Drama King» • «On the Brink»

19. Tennis: Swimmer [Mutually Detrimental]

Hier eine Band, zu der ich (Ja, ich!) nicht viel zu sagen habe, ausser dass sie seit Jahren konstant wunderschöne Indie-Pop-Songs abliefern. Keine Ahnung, wieso die beiden in der internationalen Musikpresse seit Jahren kaum Beachtung finden. (Klar, ihre ersten Singles werden sie nie übertreffen, aber das verlangt ja auch niemand.)

Highlights: «Echoes» • «Need Your Love» • «Runner» • «Tender as a Tomb»

18. Beach Bunny «Honeymoon» [Mom+Pop]

Ach, jung müsste man sein!

Beach Bunny sind eine junge Band aus Chicago rund um Songwriterin Lili Trifilio und machen Frisch-von-der-Leber-Indie-Rock mit Emo-Einflüssen.

«Rearview» hat das beste Ende eines Songs 2020, aber ich schwöre, dass die Platte nicht nur wegen diesem einen Song auf dieser Liste erscheint. (Dafür gäbe es schliesslich die Songliste.)

Fun Fact: Der Song «Prom Queen» ihrer Debüt-EP wurde anscheinend zu einem viralen TikTok-Hit. (Ich kann das leider nicht verifizieren, weil ich das Maximalalter für TikTok übersteige), aber salutiere der Band, dass sie mutig genug war, den Song nicht auch aufs Album zu packen.

Highlights: «Rearview» • «Cloud 9» • «Promises» • «Cuffing Season»

17. Cut Worms: Nobody Lives Here Anymore [Jagjaguwar]

Hier ein wirklich entzückendes Folk-Album, das wahrscheinlich noch nie jemand von A bis Z durchgehört hat, weil es ein fucking Doppelalbum und fucking 77 Minuten lang ist. Das ist zu lange, mein Freund! Niemand braucht 17 Songs! (Auch wenn mindestens 12 davon richtig fantastisch sind.)

Finde Kevin Morby seit einigen Alben leider nicht mehr so gut wie einst, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass ihm Cut Worms alias Max Clarke mittlerweile den Rang abgelaufen hat. (Wobei die neuste Morby ja wieder besser war als dessen letzte beiden Platten…)

Highlights: «The Heat Is On» • «All the Roads» • «Looks Like Rain» • «I Won’t Get it Right»

16. Ultraísta: Sister [Partisan]

Fast niemand kennt Nigel Godrich, obwohl ganz viele schon seine Musik gehört haben. Seit Jahren ist Godrich nämlich Hausproduzent von Radiohead (und von Thom Yorkes Soloplatten) und wenn man das neue Album seiner Band Ultraísta hört, muss man sich erst recht fragen, ob wir den ohnehin schon grossen Einfluss Godrichs auf die Musik von Raidohead vielleicht sogar noch unterschätzt haben?

«Sister» ist eine Platte mit extrem viel Drive, die ich – glaub› – wirklich jedes Mal, wenn ich sie aufgelegt habe, am Stück durchgehört habe. Perfekte Musik zum Schreiben oder Kochen. Klingt ein bisschen wie Thom Yorkes letzte Soloplatten, einfach mit jemandem am Mikrofon, der wirklich gut singen kann. (Haha, habe ich das jetzt wirklich gesagt?)

Highlights: «Tin King» • «Anybody» • «Mariella» • «The Moon and Mercury»

15. Tame Impala: The Slow Rush [Modular]

Vielleicht nicht Kevin Parkers beste Platte – was aber auch daran liegen könnte, dass wir fünf Jahre auf dieses Album warten mussten und unsere Erwartungshaltung dementsprechend (unmöglich?) hoch war.

Sicher auch eine Platte, die davon profitieren konnte, dass sie im Februar erschienen ist (also vor geschätzt 31 Jahren) und wir mittlerweile feststellen konnten, dass es eben noch immer niemand anderen im Indie-Zirkus gibt, der die Drums eines Indie-Rock-Songs derart kontemporär klingen lassen kann wie Parker. Tolles Kopfhörer-Album!

Highlights: «Breathe Deeper» • «Lost in Yesterday» • «One More Year» • «Borderline»

14. Soccer Mommy: color theory [Loma Vista]

2020 habe ich sehr oft Musik zum Puzzeln gehört. Und weil man dann halt ziemlich oft «In the Zone» ist, reichen meine mentalen Notizen oftmals nur für ein «Woah, das war gut» – und wenn ich ein paar Wochen oder Monate später (Zwischen-)Bilanz ziehe und meine nerdigen Listen (wenn ihr wüsstet!) update, weiss ich ab und zu gar nicht mehr so genau, was ich an Album X eigentlich so gut fand.

Das ist hier nicht der Fall. Weil Soccer Mommy (Wikipedia sagt, sie sei in der Schweiz geboren!?) das ultimative «An die Hand nehmen»-Album produziert hat: Jeder Song beginnt behutsam…und steigert sich von Minute zu Minute.

Highlights: «bloodstream» • «circle the drain» • «yellow is the color of her eyes» • «crawling in my skin»

13. Eels: Earth to Dora [PIAS]

Und hier der Gewinner des alljährlich verliehenen, sehr prestigeträchtigen «Schlechtestes Cover mit der besten Musik»-Preises.

Besonders schade, weil das E’s beste Platte seit, hm, gute Frage… «Shootenanny!»…?…ist. Endlich mal wieder kein Selbstmitleidsmarathon, sondern ein kurzer, fröhlicher Sprint, der in diesen dunklen Tagen (uuuhh…) – ganz bewusst – auf die Sonnenseiten des Lebens aufmerksam machen möchte.

Highlights: «Baby Let’s Make it Real» • «Are We Alright Again» • «The Gentle Souls» • «Earth to Dora»

12. Phoebe Bridgers: Punisher [Dead Oceans]

Die zwei wirklich schlimmsten Sachen, welche dieses Jahr passiert sind:

  1. Meine vorbestellte «Punisher»-LP wurde nicht nur mit grosser Verzögerung geliefert, sie hat dazu noch eine verhältnismässig grosse, vergilbte Stelle in der Mitte. Doppelt schade, weil «Punisher» mit dem vermutlich schönsten Cover des Jahres daherkommt (Foto by Olof Grind). Ein Grund mehr, wieso ich mein Vinyl nur noch bei Piccadilly Records bestelle.
  2. Phoebe Bridgers hat sich für den Playboy ausgezogen – aber das Fotoshooting wurde aus *hust* stilistischen Gründen (?!?) nur verpixelt veröffentlicht? But why?

Jedenfalls: Ich begrüsse den Aufstieg von Phoebe Bridgers zur neuen Indie-Queen. (Nominiert für 4 Grammys! «Best New Artist»!) Auch, weil mich ihr Auftreten in den Sozialen Medien stets unterhält.

Und wahrscheinlich hätten «Punisher» ein paar mehr Songs im Stile von «Kyoto» gut getan, aber «Ich finde Album/Film/Serie X nicht gut, weil ich mir Y gewünscht hätte» ist ja etwa die ideenloseste Kritik überhaupt. Darum: Nevermind.

Highlights: «Kyoto» • «ICU» • «Chinese Satellite» • «Garden Song»

11. Fenne Lily: BREACH [Dead Oceans]

Storytime: Im Januar 2018 war ich am «Eurosonic» im holländischen Groningen. Dort bin ich u.a. ins Konzert von Fenne Lily hineingestolpert – in einer alten Kirche –, von der ich bis dato noch nie etwas gehört habe. Es hat mich umgehauen. Ein paar Tage später habe ich gross im Radio herumposaunt: «Fenne Lily wird der nächste Indie-Star!»

Ein paar Monate später erschien ihr Debütalbum und es war…ganz okay? Und der bislang unveröffentlichte Song «On Hold», von welchem ich am Konzert überzeugt war, dass er am Ende des Jahres mein «Song des Jahres» werden würde, war…auch ganz okay?

Was lernen wir daraus? Ab und zu brauchen Künstler*innen ein bisschen länger, bis sie ihr ganzes Potential ausschöpfen. So hat’s bei Fenne Lily erst mit Album #2 richtig *klick* gemacht. Bessere und lautere Songs – und dazu Texte, die mehr erzählen als die üblichen Plattitüden. Und natürlich der Songtitel des Jahres: «I Used to Hate My Body But Now I Just Hate You» (Andi hat im – tollen – Sounds!-Interview die Erklärung dafür bekommen.)

Highlights: «Alapathy» • «Solipsism» • «Laundry and Jet Lag» • «I Used to Hate My Body But Now I Just Hate You»

10. Hamilton Leithauser: The Loves of Your Live / Live at Café Carlyle [Glassnote]

Auch in hohem Alter kann man noch dazu lernen: Aus irgendwelchen nicht ganz nachvollziehbaren Gründen haben es Hamilton Leithausers Platten in den vergangenen Jahren nie in meine Top 10 geschafft. Sobald ich aber fünf Jahre später zum jeweiligen Musikjahr zurückkehre, stelle ich fest, dass seine Platten (und die seiner ehemaligen *schnief* Band The Walkmen), zu den einzigen gehören, die ich noch immer regelmässig höre. Darum hier der Kompromiss für Future-Luca: Leithauser auf die 10.

Speziell hervorheben möchte ich hier auch noch das Live-Album, welches vor dem Release von «The Loves of Your Life» aufgenommen, aber erst Mitte Jahr veröffentlicht wurde. Dort spielt Leithauser nebst den Songs vom neuen Album auch haufenweise Cover, u.a. eine wirklich umwerfende Version von «Not», im Original von Big Thief.

Aber Vorsicht: Wer Liveshows vermisst, darf sich nur vorsichtig an dieses Album heranwagen. Leithauser trifft zwar nicht jeden Ton, aber ich hab mir selten so fest gewünscht, jetzt gerade in einem stickigen Club stehen und mich über knutschende Pärchen und die schlechte Vorband nerven zu dürfen, wie beim Hören dieses Live-Albums.

Highlights: «Here They Come» • «Isabella» • «The Garbage Men» • «Stars & Rats»
Highlights: «Not» (Big Thief Cover) • «Don’t Check the Score» • «The Greatest» (Lana del Rey Cover) • «Isabella»

9. Whitney: Candid [Secretly Canadian]

Whitney. Eine Band, die ich mag. So fest, dass es sogar ein Cover-Album(!) von ihnen in das Ranking meiner Lieblingsalben des Jahres geschafft hat. Und das obwohl sie ihr bestes Cover gar nicht aufgenommen haben?

Jedenfalls: Whitney covern hier vor allem Songs, die mir gänzlich unbekannt waren (ausser «Take Me Home, Country Roads» zusammen mit Waxahatchee. Leider der einzig überflüssige Song des Albums) und lassen sie erst noch wie eigene Songs klingen. «Bank Head», im Original von Kelela und Kingdom, ist z. B. kaum wiederzuerkennen.

Apropos: Warum gab es eigentlich so viele Covers und Cover-Alben dieses Jahr? Man könnte doch meinen, dass man im Lockdown besonders viel Zeit hat, eigene Songs zu schreiben?

Highlights: «Crying, Laughing, Loving, Lying» (Labi Siffre Cover) • «Strange Overtones» (David Byrne & Brian Eno Cover) • «Hammond Song» (The Roches Cover) • «A.M. AM» (Damien Jurado Cover)

8. Caribou: Suddenly [City Slang]

Ich habe eine ziemlich kuriose Beziehung zu Caribous Musik. Seine ersten beiden Alben, die einst unter dem Alias «Manitoba» erschienen sind, finde ich fantastisch. Besonders «Up in Flames» gehört zu meinen liebsten Alben ever.

Alles was anschliessend kam, finde ich zum Teil richtig gut (meistens die Singles), auf Albumlänge aber nur begrenzt Bestenlisten-würdig. Wenn in der Vergangenheit neue Caribou-Alben erschienen sind und die Crowds an seinen Konzerten (lol, remember?) immer wie grösser wurden, mochte ich das Dan Snaith zwar herzlich gönnen, war aber auch immer leicht verwirrt ob seiner steigenden Popularität.

Und dann wäre da ja noch seine erfolgreiche DJ-Karriere, die mir auch von Release zu Release weni…halt… warum zum Teufel bin ich in meiner Bestenliste so negativ? Schliesslich geht’s hier um die Würdigung von Caribous vielleicht vollständigsten Albums. Vorabsingle «Home», letztes Jahr auf meiner Liste, war eine gute Ankündigung dafür, dass Caribou seinen «Soul» wiedergefunden hat. Bestes Album zum Aus-dem-Fenster-schauen beim Zugfahren.

Highlights: «Home» • «Ravi» • «Never Come Back» • «You and I»

7. Coriky: Coriky [Dischord]

Bestes Rock-, respektive R-A-W-K-Album (🤘🤘🤘) des Jahres.

Ist ja nicht so als ob Ian MacKaye seinen Legendenstatus nicht schon auf sicher hätte, aber gelegentlich einen Reminder in die Welt schicken, wieso das so ist, kann ja nicht schaden.

Zusammen mit meiner #1 das lebendigste Album des Jahres. Hier hat man das Gefühl mitten im Proberaum zu stehen. Herabfallende Eierkartons an den Wänden und Jazz-Ensemble nebenan, welches froh darum wäre «wenn ihr eure Bierflaschen gelegentlich zum Altglas bringt», inklusive.

Highlights: «Too Many Husbands» • «Clean Kill» • «Inauguration Day» • «Hard to Explain»

6. Widowspeak: Plum [Captured Tracks]

Eine grosse Sorge von jemandem, der u.a. dafür bezahlt wird, neue Musik im Radio vorzustellen (und da gibt es jetzt sicher Millionen von Leuten, die genau nachvollziehen können über was ich da spreche), ist ja, dass man eines Tages «entlarvt» wird. Gegen Aussen gibt man sich als grossen Allesversteher, als jemand, der die Lust an neuen Bands und neuen Musiker*innen nie auszugehen scheint… was aber, wenn jemand die Playlists genauer anschaut und plötzlich merkt: «Hä, da läuft ja immer die gleiche Musik? Da werden ja immer die gleichen Künstler*innen gespielt?»

So sei hiermit angemerkt: Ja, ich bin mir verdammt nochmal bewusst, dass meine diesjährige Liste mit weniger Diversität daherkommt als in vergangenen Jahren. Viel Weissbrot-Indie. An was das liegt: Keine Ahnung? An den äusseren Umständen und dass man sich in Krisenzeiten eher dorthin besinnt, wo man musikalisch sozialisiert wurde? (Eben: Weissbrot-Indie) Who knows? (Bei den Serien und Filmen sieht’s diesbezüglich viel besser aus.)

Und dann kommt ja noch hinzu, dass sich dieses Jahr nicht nur die Genres wiederholen, sondern auch die Bands selbst. Widowspeak zum Beispiel. Ein Dream Pop-Duo aus New York, das seit seinem Debütalbum praktisch jedes Mal in meiner Bestenliste auftaucht, wenn es etwas Neues veröffentlicht. Ist das langweilig? Definitiv! Wäre diese Liste spannender und diverser wenn sie unter dem Motto «Die 20 besten Acts, die ich dieses Jahr entdeckt habe» stehen würde? Absolut!

Da sie allerdings unter dem Titel «die besten Alben des Jahres» läuft, wäre es straight-up gelogen, wenn dieses oft gehörte und unfassbare eingängige Album nicht in dieser Liste stehen würde.

Highlights: «Even True Love» • «Plum» • «Money» • «Breadwinner»

5. Bob Dylan: Rough and Rowdy Ways [Columbia]

Weil diese Liste ja praktisch nur aus bekannten und etablierten Namen besteht, dachte ich mir: Bringe ich doch hier noch einen waschechten Geheimtipp! Einen unbedeutenden Musiker, den ihr nur kennt, weil ihr seine Lieder in der Primarschule singen musstet. Oder vielleicht hat euch jemand (eure Eltern?) mal an ein Konzert von ihm mitgeschleppt und ihr habt euch nach 30 Minuten gefragt: «Ist der Sound unterirdisch oder singt der wirklich so schlecht?»

Aber ja, the rumors are true: Bobby D. hat endlich mal wieder eine richtig hörenswerte Platte gemacht. Sagt jemand, der seine letzten Alben nicht mal angerührt hat (Sorry, «Tripcliate», wie gerne würde ich ein 90-minütiges Triple-Album hören, für welches Bob Songs aus dem «Great American Songbook» covert, aber, ähhh, nein). Darum macht’s auch keinen Sinn, dass ich dieses Werk in den Kontext stelle (das können die letzten verbliebenen «Rolling Stone»- und «Uncut»-Abonnenten garantiert besser), sondern einfach darauf hinweise, wie sehr mir dieser bissige, «No fucks left to give»-Bob gefällt.

Klar, seine Stimme ist vielleicht nicht mehr auf «Blowin› in the Wind»-Level, aber der beste Sänger war er ja noch nie. Dafür einer der ausdrucksstärksten – und gepaart mit seinen immer fesselnden Texten und einer Band, die nicht ausschliesslich um-za-um-za-Blues-Riffs spielt, ist das – trotz dubiosen Live-Shows – noch immer eine Ohrenweide.

Highlights: «My Own Version of You» • «I Contain Multitudes» • «I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You» • «Key West (Philosopher Pirate)»

4. Becca Mancari: The Greatest Part [Captured Tracks]

Die ungemütlichste Vergangenheitsbewältigung des Jahres. Verpackt in liebliche Indie-Pop-Melodien singt Becca Mancari, eine queere Musikerin, darüber, wie sie von ihrem streng religiösen Vater nach ihrem Coming-out verstossen wurde («First Time»), oder wie die Sekte ihrer Eltern regelmässig Leute nach ihr schickt um sie mit homophoben Messages zu terrorisieren («Hunter»). Merkt man natürlich erst, wenn man genauer hinhört.

Highlights: «Stay With Me» • «First Time» • «Hunter» • «Lonely Boy»

3. HAIM: Women in Music Pt. III [Universal]

Meine Top 3 spielt dieses Jahr in einer anderen Liga als der Rest meiner Liste.

Da wäre zum einen das symphatisch lockere und vielseitige neue Album von HAIM, mit welchem die drei Schwestern ein erfolgreiches Comeback nach ihrem misslungenen zweiten Album hinlegen… was natürlich absoluter Bullshit ist. Und trotzdem hat sich diese Narrative irgendwie gehalten. Verstehe ich nicht.

Ja, Album #3 mag zwar ein Tüpfelchen vielschichtiger sein als «Something to Tell You» und trotzdem war alles, das auf «Women in Music Pt. III» angeblich so gut sein soll (und ist!), bereits auf dem letzten Album präsent: Die Hall-unterlegten Drums von Rostam, augenzwinkernde und abenteuerliche Zugeständnisse an ihre vermeintlich «uncoolen» Einflüsse («Another Try» klingt nach UB40, that’s a fact) und natürlich ihre Fleetwood Mac’sche California-ness, die hier mit der wohl simpelsten und grössten Liebeserklärung überhaupt verewigt wird: «New York is cold / I tried the winter there once, nope / Clearly the greatest city in the world / But it was not my home / I felt more alone»

Highlights: «Los Angeles» • «Up From a Dream» • «I’ve Been Down» • «The Steps» • «Another Try»

2. Waxahatchee: Saint Cloud [Merge]

Die Schnelllebigkeit der Popwelt ist Fluch und Segen zugleich: Gleich hinter der nächsten Ecke lockt «The Next Big Thing», das ist toll. Aber leider bedeutet dies auch, dass wir «The Last Big Thing» dadurch wie eine heisse Kartoffel fallen lassen müssen.

Auf der Strecke bleibt der Kontext.

Denn was gibt es Schöneres als neue Alben von Musiker*innen mit deren alten zu vergleichen? Was hat sich verändert? Was ist neu? Was ist gleich geblieben? Wurde Katie Crutchfields gebrochenes Herz in der Zwischenzeit gekittet? (Ja!) Besinnt sie sich musikalisch zum ersten Mal so richtig auf ihre persönlichen Wurzeln in «Middle America»? (You Bet!) Schreibt sie noch immer Zeilen, für die man nach dem ersten Mal hören den Song kurz pausieren lassen muss um ihre Pracht wirken zu lassen?

«And we both dig a grave
To immortalize all the shortest waves
We can try to let stillness be
But if I spin off, will you rescue me?
Or will I beg you to set me free?
I think what’s wild might be meant to be
You and me»

(Oh ja.)

Highlights: «Fire» • «Can’t Do Much» • «Witches» • «The Eye» • «Hell» • «Oxbow» • «War» • «Ruby Falls» • «St. Cloud»

1. Fiona Apple: Fetch the Bolt Cutters [Epic]

Was hat 2020 am meisten gefehlt? Die Nähe. Der direkte Austausch. Ganz nahe bei jemandem sein zu können, mit dem man nicht in einer Beziehung ist. Schulter an Schulter, Rücken an Rücken. Vielleicht in einer Bar. Vielleicht im Kino. Vielleicht im Club. Ohne Zoom. Ohne Maske. Ohne «Hm, nimmt sie’s mit den Regeln wohl gleich genau wie ich?»-Gedanken. Dafür mit Händedruck. Oder vielleicht sogar einer Umarmung.

Und so ist es für mich auch keine Überraschung, dass mein Lieblingsalbum 2020 jenes Album ist, welches am meisten «lebt». Wo man als Hörer das Gefühl suggeriert bekommt, das man hier mittendrin steht. Und jede Bewegung das Kartenhaus zum Einsturz bringen lassen könnte.

Das heisst aber auch, dass man hier mit dem einen oder anderen Moment rechnen muss, der im ersten Augenblick verstört. Aber da ich irgendwann einmal gemerkt habe, dass ich das Konzept von unmittelbarer Abschreckung in der Popmusik, welche den oder die ungeduldige*n Hörer*in zur Skip-Taste greifen lässt, dafür aber den oder die geduldige*n Hörer*in belohnt, ziemlich sexy finde, passt mir das hervorragend.

Auch in Fiona Apples Musik gehen irritierende und bezaubernde Momente stets Hand in Hand: Und der Tonartwechsel bei 02:17 in «I Want You to Love Me» fühlt sich dann für mich so an, wie für andere der Beat-Switch in «Sicko Mode».

Und wir haben ja noch gar nicht über die Texte geredet! Fiona Apple verwendet mal wieder Wendungen, Wortspiele und Metaphern, die mich, eine Person dieWendungen, Wortspiele oder Metaphern über alles liebt, sprachlos zurücklassen und trotzdem nie abgehoben oder abgedroschen klingen.

Wie verwebt man z. B. einen ungeliebten Egoisten, der ohne Rücksicht auf Verluste über alles und jeden trampelt und nur sich selbst im Kopf hat? Einige würden ihm wünschen, auf die Fresse zu fallen. Andere würden im Schimpfwörter an den Kopf werfen. Und Fiona Apple? Sie würde ihm gerne «a pair of pillow-soled hiking boots» kaufen. Grossartig.

Highlights: «Under the Table» • «Drumset» • «Cosmonauts» • «Heavy Balloon» • «I Want You to Love Me» • «Rack of His» • «Shameika» • «Fetch the Bolt Cutters»

Wie bitte? Noch nicht genug? Haha, als ob! Mehr Listen gibt’s hier.

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